Die CDU hat sich am Wochenende zur Klausurtagung versammelt. Offiziell wollte man über Wirtschaft, Sicherheit und Zukunft sprechen. In Wahrheit aber ging es um etwas ganz anderes: um die AfD, und um die eigene Angst vor ihr…
Gerade in der Kommunalpolitik gibt es faktisch und praktisch keine Brandmauer. In der Nordhäuser Ausgabe der Thüringer Allgemeinen mussten sich mehrmals CDU-Politiker damit konfrontiert sehen. Auf Bundesebene wollte Bundeskanzler Merz seine Partei nun zur Ordnung rufen, sie seine Linie bringen, bevor die Debatte über die Brandmauer die CDU endgültig spaltet. Der Hintergrund ist klar. Die Union hat in der Regierung bislang wenig zustande gebracht. Es wirkt sogar so, als sei sie vor der SPD und vor Lars Klingbeil eingeknickt. Inzwischen dürfte den Christdemokraten klar geworden sein, dass mit den Genossen kaum etwas vom eigenen Programm durchzusetzen ist.

Luisa Neubauer erweitert ihr Themenfeld: „Wir sind die Brandmauer“. Bild: Stefan Müller (climate stuff, 4 Mio views) from Germany, Wikimedia Commons, CC BY 2.0
Dann kamen noch Gerüchte in Bundestagsfraktion auf, man könne nach dem Haushalt auf eine Minderheitsregierung umschwenken, um sich von der SPD zu lösen. Zugleich kam die Brandmauer-Debatte nicht etwa aus der Parteibasis, sondern aus der Wirtschaft: Unternehmensvertreter signalisierten wachsende Distanz zur Union, stellten deren wirtschaftspolitische Kompetenz infrage. Und fragten offen, ob man mit der AfD nicht besser fahren würde. Für Merz war das ein Alarmzeichen. Der „Appell“ – anders kann man die Klausur kaum nennen – sollte der CDU wieder Geschlossenheit verordnen und ein Signal an die verunsicherten Wirtschaftsakteure senden.
Zwischen Disziplin und Frustration
Doch wie stark ist die Parteidisziplin tatsächlich? Nach außen gab sich Merz kämpferisch. Die CDU werde sich klar von der AfD abgrenzen, gute Regierungsarbeit leisten und die politische Mitte festigen. Hinter den Kulissen aber, so hört man, herrscht Unmut. Einige Funktionäre sollen den gesamten Klausurtag als Fehlschlag bezeichnet haben.
Wenn Merz glaubt, das Thema AfD sei vom Tisch, täuscht er sich. Die politische und wirtschaftliche Lage wird es unausweichlich wieder aufbringen. Das Ergebnis der Tagung scheint ein Kompromiss zu sein; man will Ruhe, man will Disziplin, aber eine wirkliche strategische Wende ist ausgeblieben.
Als Merz auf die Frage einer Journalistin, was sich an seiner Strategie im Umgang mit der AfD geändert habe, antwortete: „Gar nichts“, sagte er sicher die Wahrheit. Wozu also das Treffen, wozu die Pressekonferenz? Es wurden lautere Worte gefunden, aber keine neuen Wege beschritten. Die Ankündigung, nun endlich „gute Regierung“ zu machen, wirft zudem die Frage auf, warum das in den vergangenen sechs Monaten nicht möglich war.
Besonders im Bereich Migration und Stadtbildpolitik geriet Merz in die Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Der linke CDU-Flügel etwa warf ihm schlechten Stil vor. Und dieser Flügel ist weder klein noch leise.
Ost gegen West, Merkelianer gegen Merz
Die CDU ist gespalten. Zwischen Ost und West, zwischen Nordsee und CSU-Alpen, zwischen Modernisierern, Sozialflügel und bodenständiger Basis. Noch immer gibt es zahlreiche Merkelianer, tief verankert im Apparat, die den Kurswechsel von Merz mit Skepsis betrachten.
Ein weiteres Problem: Sollte die CDU tatsächlich den Schritt zur Minderheitsregierung wagen und sich dabei punktuell auf die AfD stützen – oder, wie Merz es ausdrückt, „Mehrheiten suchen, wo man sie findet“ –, könnte es im Westen zu einer Austrittswelle kommen.
Allerdings dürfte diese kleiner ausfallen, als derzeit befürchtet. Denn auch im Westen wächst der Anteil der AfD-Wähler. Längst sind es nicht mehr nur Protestwähler. In Baden-Württemberg etwa zeigt sich in Umfragen, dass die CDU zwar vorne liegt, doch die AfD ist ihr auf den Versen, während die Grünen auf Rang drei abrutschen. Das politische Gefüge verschiebt sich spürbar.
Ruhe um jeden Preis
Wenn Merz also selbst sagt, dass sich an seiner Haltung zur AfD nichts geändert habe, stellt sich die Frage: Warum das alles? Was hat er sich von der Klausur versprochen?
Die Antwort liegt wohl im Versuch, eine offene Flügeldebatte zu beenden. Merz wollte Ruhe. Auf der Pressekonferenz erklärte er, das Wort „Brandmauer“ habe er nie in den Mund genommen – was nicht stimmt. Sowohl im Spiegel als auch in der Süddeutschen Zeitung hat er diesen Begriff mehrfach verwendet. Gleichwohl ist die Botschaft klar: Die CDU soll die Diskussion über die Brandmauer beenden und sich auf die Haushaltsverhandlungen konzentrieren. Merz will zeigen, dass er regieren kann und dass seine Partei geschlossen hinter ihm steht.
Doch die Realität sieht anders aus. Die SPD, allen voran ihr Vorsitzender Lars Klingbeil, warnt offen vor einer „Aufweichung“ der Abgrenzung zur AfD und verlangt, diese Diskussion „dringend zu stoppen“. Merz versuchte, genau das zu tun, aber nicht, weil die CDU strategisch sicher aufgestellt wäre, sondern weil sie in Wahrheit planlos wirkt.
Die Strategie-Lücke der Union
Die CDU hat keine Strategen mehr. Die Partei ist taktisch, nicht strategisch. Das ist ein Erbe der Merkel-Ära, in der ein funktionaler, aber ideenloser Apparat entstand. Eine Catch-all-Partei, in der fast alle Verantwortlichen in der oberen Riege unter Merkel groß geworden. Sie können verwalten, aber nicht gestalten. So agiert die CDU ohne strategisches Ziel, getrieben von Umfragen und Reaktionen auf die SPD.
Mit der AfD will sie nicht, mit der SPD kann sie nicht, und nach der nächsten Wahl müsste sie, wenn es so weitergeht, wohl auch noch die Grünen oder gar die Linkspartei hinzunehmen. Das hieße, die CDU wäre nur noch mit der SPD regierungsfähig.
Oder sie reißt die Brandmauer ein. Doch damit würde sie das Fundament der SPD-Regierungsfähigkeit untergraben. Denn fällt die Brandmauer, verliert die SPD ihre Existenzberechtigung.
Zwischen Abgrenzung und Anspruch
Merz will sich einerseits klar abgrenzen, andererseits Politik machen, die bei den Bürgern ankommt. Doch genau darin liegt das Dilemma. Die CDU wird mit der SPD keine zukunftsfähige Regierungspolitik zustande bringen. In der Migrationspolitik faktisch nichts bewegt, beim Bürgergeld herrscht Blockade. In der Energie- und Wirtschaftspolitik keine Bewegung. Das Verbrenner-Aus bleibt. Und solange das so ist, werden die Wirtschaftsdaten nicht steigen.
Deutschland betreibt seit Jahren eine selbstzerstörerische Energie- und Industriepolitik. Das erkennt inzwischen auch die Wirtschaft. Eine Allensbach-Umfrage unter 169 Unternehmen zeigt: 51 Prozent bewerten ihre Geschäfte als stagnierend oder rückläufig, 60 Prozent der Autozulieferer suchen Kunden in China, 51 Prozent der Maschinenbauer sehen die Technologieführerschaft in Gefahr, und 94 Prozent der Kunststoffindustrie erwarten massive Abwanderung.
Die Zeichen stehen auf Deindustrialisierung. Wenn die CDU weiterhin eine Wirtschaftspartei sein will, muss sie endlich Wirtschaftspolitik machen. Mit der SPD geht das nicht, mit den Grünen noch weniger, und mit der Linken schon gar nicht.
Die Kunst des Möglichen
Die CDU scheint die Kunst verlernt zu haben, Möglichkeiten zu erkennen. Sie hat keine strategische Vorbereitung, keine klare Linie, keinen Plan B. Wäre sie überhaupt auf eine Zusammenarbeit mit der AfD vorbereitet; inhaltlich, organisatorisch, kommunikativ? Wohl noch nicht.
Zudem ist der Druck von außen gewaltig durch NGOs, Aktivisten, Medien. Alle würden eine solche Öffnung als Tabubruch brandmarken. Parteibüros würden Ziel von Angriffen, Demonstrationen zum Alltag, beworben und begleitet von den Öffentlich-Rechtlichen. Wer so etwas wagt, muss es aushalten. Doch wer Parteibüros, egal welcher Partei, angreift, steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, das sollte man in der ganzen moralischen Aufgeregtheit nicht vergessen.
Ein Land am Scheideweg
Die CDU hat die Dinge zu lange laufen lassen. Jede Kurskorrektur wird nun schwieriger, jede Reform nur noch unter Widerständen möglich. Aber sie ist notwendig, wenn Deutschland nicht endgültig in die Deindustrialisierung rutschen und seinen Wohlstand verspielen will.
Friedrich Merz hat mit dieser Klausur versucht, Ordnung zu schaffen. Doch der Versuch, Ruhe herzustellen, zeigt vor allem eines: die Unruhe einer Partei, die nicht weiß, wohin sie will. Es gebe Mehrheiten mit der AfD. In Berlin, Erfurt und erst recht in Nordhausen.
V. Eisfeld
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